Ausgesetzt

Für ihre Arbeiten bedient sich Daniela Finke verschiedener Strategien des Sammelns, Präparierens und Auswertens historischer Zeugnisse. In ihrer farblichen Markierung, ihrer Anordnung oder durch das wechselnde Material der Bildträger scheinen sich Geschichten und Beziehungen zwischen den Fundstücken anzudeuten. Ob die Collagen auf Zufällen, Inszenierung oder auf bestimmten Gesetzmäßigkeiten beruhen, bleibt offen. Die fragile Ordnung der Dinge selbst ist es, die die Bilder mit politischen, sozialen und ästhetischen Deutungen auflädt und dabei zugleich ständiger Wandlung unterworfen ist.

Die Werkserie Ausgesetzt/Discarded zeigt Gegenstände, die auf den Straßen Berlins zum Verschenken abgelegt wurden. Sie wurden von Daniela Finke über Jahre auf ihrem Weg zu ihrem Atelier vorgefunden. Vertraute Objekte – Geschirr, Schuhe, Möbel, Bücher oder eine Gitarre – wechseln mit kuriosen: ein einzelner Eierbecher mit Armen, Beinen und Gesicht, eine Kappe mit Plastikvisier oder mit Dingen, deren Zweck sich kaum mehr erschließen mag. Auch die Umgebungen, in denen die Objekte abgelegt sind, geraten in den Blick: Autos am Straßenrand, Bäume, Hausfassaden, ein Stromkasten mit Plakatanschlägen, ein Apothekenschild. Die Umgebungen sind ebenso wie die abgelegten Gegenstände teilweise mit Graffiti verziert: Auf einem Wohnmobil ist ein Tag mit dem Michelin-Männchen zu erkennen, auf einer Mülltonne der Schriftzug youth is Crime; auf eine abgelegte Matratze wurden die Gesichter eines im Bett liegenden Paares und die Worte Home Street Home gesprüht.

Während die Werbefotografie Ansichten von Umgebungen kreiert, in denen Sinn und Reiz der beworbenen Waren atmosphärisch totalisiert werden, zeigt die Serie Ausgesetzt/Discarded eine Warenwelt, deren ästhetische Botschaft sich an ihrer Umgebung bricht. Die Negativ-Verkehrung der Bilder mit ihrer geisterhaft anmutenden Kolorierung und Kontrastierung führt in der Tradition der Vanitas-Motive in ein Zwischenreich, in dem das Verfallene und Tote optisch für den Moment des Anblicks noch einmal zu neuem Leben erwacht. Indem hier, in der Gegenwelt zum Konsum, wie ihn die tempelartige Architektur der Pariser Galleries Lafayette verkörpert, jede Distinktion und Eitelkeit des Besitzes entfällt, offenbaren die Dinge in ihrem Ausgesetztsein auf der Straße ihre transzendenzlose, kreatürliche Schönheit und Sterblichkeit.

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