Limulus DE
Für ihre Arbeiten bedient sich Daniela Finke verschiedener Strategien des Sammelns, Präparierens und Auswertens historischer Zeugnisse. In ihrer farblichen Markierung, ihrer Anordnung oder durch das wechselnde Material der Bildträger scheinen sich Geschichten und Beziehungen zwischen den Fundstücken anzudeuten. Ob die Collagen auf Zufällen, Inszenierung oder auf bestimmten Gesetzmäßigkeiten beruhen, bleibt offen. Die fragile Ordnung der Dinge selbst ist es, die die Bilder mit politischen, sozialen und ästhetischen Deutungen auflädt und zugleich ständiger Wandlung unterworfen ist.
Die Werkserie A Present from the Past erkundet die einprägsame Erscheinung der Pfeilschwanzkrebse (Limulidae, auch Hufeisenkrebse oder Horseshoe crabs genannt), einer Spezies, deren Alter auf 450 Millionen Jahre geschätzt wird und die heute vor allem in tropischen Gewässern, an der amerikanischen Atlantikküste und in Südostasien beheimatet ist.
Ihre alienhafte Erscheinung mit dem stachelbewehrten Panzer und pfeilspitzartigen Schwanz lässt die für den Menschen ungefährlichen Tiere wie bedrohliche Fabelwesen wirken. Dabei reicht ihre wissenschaftliche Erforschung und Ausbeutung in Europa bis an den Beginn des
17. Jahrhunderts zurück.
Ein aus dem bläulichen Blut der Tiere hergestellter Bakterientest gehört heute zu den medizinischen Standards, weshalb die Krebse zu den bedrohten Tierarten zählen. Versuche einer schonenden Gewinnung oder synthetischen Herstellung des Blutes haben daran wenig geändert.
In den unterschiedlich bearbeiteten und inszenierten Fotografien der Werkserie taucht die Kontur des Krebses immer wieder als stereotypes Zeichen auf, mit wechselnder, nie ganz klarer Bedeutung. Es steht für das Geheimnis und die Ungreifbarkeit der Herkunft von Limulus ebenso wie für seine wissenschaftliche, mythische oder individuelle Ausdeutung. Ob als Sternbild oder skarabäenhaftes Kleinod, als Schatten im Ozeanblau von Cyanotypien, das auf das begehrte blaue Blut der Pfeilschwanzkrebse verweist: Seziert, durchleuchtet und zerteilt offenbart dieser Körper seine Andersheit: Wie konnte die Spezies so lange überleben? Wie rezipieren diese Tiere mit ihren drei Augenpaaren die Welt der Gegenwart, in der sie nach Millionen Jahren ihres Überlebens vielleicht ihrer Auslöschung entgegensehen?